Analysen | Handels-, Wettbewerbs- & Vertriebsrecht
Garantie wegen des Vorliegens versteckter Mängel nach französischem Recht (vices cachés): was kann sich für deutsche Hersteller und Verkäufer bald ändern?
12 Juli 2023

Am 21. Juli 2023 wird der französische Kassationsgerichtshof (Cour de cassation) über drei wichtige Fragen zur Garantie wegen des Vorliegens versteckter Mängel zu entscheiden haben, zu denen drei ihrer Kammern (die erste Zivilkammer, die dritte Zivilkammer und die Handelskammer) bislang unterschiedliche Positionen eingenommen haben.

Die Antworten des Cour de cassation dürften erhebliche Auswirkungen auf deutsche Hersteller und Verkäufer haben, wenn das französische Recht Anwendung findet.

Es geht um Artikel 1648 des französischen Zivilgesetzbuchs (code civil), wonach „die Klage wegen des Vorliegens versteckter Mängel vom Käufer innerhalb einer Frist von zwei Jahren ab der Entdeckung des Mangels erhoben werden muss.“

Im Folgenden werden die gestellten Fragen und die vom Generalanwalt vorgeschlagenen Antworten zusammengefasst und in Hinblick auf die Lösungsvorschläge der aktuellen Fassung des Vorentwurfs zur Reform der Bestimmungen des code civil über Sonderverträge, darunter insbesondere Kaufverträge, deren Umsetzung für Ende 2023/Anfang 2024 geplant ist, betrachtet :

1. Ist die Zweijahresfrist des Artikels 1648 code civil eine Verjährungsfrist (prescription) oder handelt es sich um eine Ausschlussfrist (forclusion) ?

Auch wenn es sich hierbei um eine höchst theoretische Frage zu handeln scheint, wird die Antwort darauf – im Falle der Anordnung eines Sachverständigenverfahren durch ein französisches Gericht auf Antrag des Käufers – konkrete und greifbare Auswirkungen für deutsche Hersteller und Verkäufer haben. 

Wenn in Frankreich der Verdacht besteht, dass ein Produkt einen Mangel aufweist, wird in einem Verfahren, das als „référé-expertise“ (selbständiges Beweissicherungsverfahren) bezeichnet wird, sehr häufig die Bestellung eines Sachverständigen beantragt, der das betreffende Produkt untersucht, um (i) den möglichen Mangel zu identifizieren und (ii) festzustellen, wer dafür verantwortlich sein könnte. Die oben genannte Zweijahresfrist wird durch den Klageantrag auf Anordnung eines Sachverständigenverfahrens unterbrochen und dann bis zum Datum der Anordnung des Sachverständigenverfahrens durch gerichtlichen Beschluss gehemmt. 

Danach gibt es zwei Möglichkeiten:

  • wird die Zweijahresfrist als Verjährungsfrist qualifiziert, wird sie bis zum Tag der Einreichung des Sachverständigenberichts weiterhin gehemmt. Konkret bedeutet dies, dass der Käufer ab dem Zeitpunkt der Einreichung des Sachverständigenberichts erneut zwei Jahre Zeit hat, um gegen den Verkäufer aufgrund der Garantie wegen des Vorliegens versteckter Mängel zu klagen;
  • wird die Zweijahresfrist hingegen als Ausschlussfrist qualifiziert, wird sie während des Sachverständigenverfahrens nicht gehemmt. Dies bedeutet, dass der Käufer den Verkäufer innerhalb der Zweijahresfrist ab gerichtlicher Anordnung des Sachverständigenverfahrens verklagen muss, selbst wenn der Sachverständige innerhalb dieser Zweijahresfrist seinen Bericht noch nicht eingereicht hat. 

Bis heute herrscht innerhalb des Cour de cassation Uneinigkeit über die Qualifikation dieser Frist: die erste Zivilkammer und die Handelskammer sind der Ansicht, dass es sich um eine Verjährungsfrist handelt, während sie die dritte Zivilkammer als Ausschlussfrist qualifiziert. 

  • Während der mündlichen Verhandlung vor dem Cour de cassation am 16. Juni 2023 schlug der Generalanwalt vor, die Frist als Verjährungsfrist zu qualifizieren, damit diese während des Sachverständigenverfahrens gehemmt wird
  • Dies steht in Einklang mit dem Reformentwurf des Kaufrechts, wonach in der aktuellen Fassung vorgeschlagen wird, in Artikel 1648 code civil ausdrücklich festzulegen, dass „die Klage aufgrund der Garantie wegen des Vorliegens von Mängeln nach zwei Jahren verjährt“.

2. Aufgrund der Tatsache, dass der Ausgangspunkt der Zweijahresfrist subjektiv ist, da er ab der Entdeckung des Mangels läuft, die auch erst mehrere Jahre nach dem Verkauf oder der Lieferung der Sache erfolgen kann, ist die Rechtsprechung der Ansicht, dass diese gleitende Zweijahresfrist durch eine zweite Frist (Rahmenfrist) eingeschlossen wird, die ab dem Verkauf der Sache läuft, dies um zu vermeiden, dass die Klage aufgrund der Garantie wegen des Vorliegens versteckter Mängel de facto unverjährbar ist.

Konkret bedeutet dies, dass der Käufer nur innerhalb dieser Rahmenfrist die Möglichkeit hat, wegen eines von ihm festgestellten Mangels innerhalb von zwei Jahren nach dessen Entdeckung gerichtlich vorzugehen.

Bei zivilrechtlichen Verkäufen, d. h. Verkäufen, die zwischen einem nicht-gewerblichen Verkäufer und einem nicht-gewerblichen Käufer abgeschlossen werden, geht die Rechtsprechung des Cour de cassation einstimmig davon aus, dass die Rahmenfrist in Anwendung von Artikel 2232 code civil 20 Jahre ab dem Verkauf der Sache beträgt.

Am 21. Juli 2023 wird der Cour de cassation allerdings die Frage zu beantworten haben, ob diese 20-Jahres-Frist auch auf Handelsverkäufe anzuwenden ist, d. h. auf Verkäufe, die zwischen einem gewerblichen Verkäufer und einem gewerblichen oder nicht-gewerblichen Käufer abgeschlossen werden, oder ob für Handelsverkäufe in Anwendung von Artikel L110-4 des französischen Handelsgesetzbuchs (code de commerce) die Rahmenfrist fünf Jahre ab dem Verkauf der Sache (d.h. die allgemeine Verjährungsfrist unter Kaufleuten) betragen muss. 

  • Während der mündlichen Verhandlung vor dem Cour de cassation am 16. Juni 2023 schlug der Generalanwalt vor, für Handelsverkäufe eine Frist von fünf Jahren festzulegen. Diese Alternative scheint vor allem dann vorzuziehen zu sein, wenn man das französische Recht nicht nur mit dem UN-Kaufrecht, sondern auch mit dem italienischen und deutschen Recht vergleicht, wonach die Klage auf Gewährleistung für versteckte Mängel nach einem bzw. zwei Jahren ab der Lieferung der Sache verjährt.
  • Gemäß der aktuellen Fassung des Reformentwurfs soll die Dauer der Rahmenfrist ausdrücklich in Artikel 1648 code civil aufgenommen werden, wobei zwei Alternativen möglich sind: eine knappe Mehrheit schlägt den Verweis auf die 20-jährige Frist des Artikels 2232 code civil vor, während eine Minderheit vorschlägt, eine Frist von 10 Jahren nach der Lieferung der Sache festzulegen. Diese 10-jährige Frist würde sich an der 10-jährigen Verjährungsfrist ab Inverkehrbringen des Produkts nach der Produkthaftung orientieren. Beide Alternativen lassen aber die Frage offen, ob diese Reform auch für Handelsverkäufe gelten soll oder nicht. Gegebenenfalls wird dies die Rechtsprechung zu präzisieren haben.

3. Im Falle einer Regressklage, die im Rahmen einer Lieferkette vom Wiederverkäufer gegen den Hersteller erhoben wird, der vom Endkunden verklagt wird, vertritt der Cour de cassation die Auffassung, dass die Zweijahresfrist nach Artikel 1648 code civil ab dem Datum, an dem der Wiederverkäufer vom Endkunden verklagt wurde, läuft.

Was die Rahmenfrist anbetrifft, herrscht innerhalb des Cour de cassation hingegen Uneinigkeit: die dritte Zivilkammer ist der Ansicht, dass diese Frist bis zur Klage des Wiederverkäufers durch den Endkunden gehemmt ist, während die erste Zivilkammer und die Handelskammer der Ansicht sind, dass diese Frist bereits ab dem Tag des Abschlusses des Kaufvertrags läuft.

Diese Frage wird ebenfalls am 21. Juli 2023 vom Cour de cassation entschieden werden.

  • Während der mündlichen Verhandlung vor dem Cour de cassation am 16. Juni 2023 schlug der Generalanwalt vor, als Beginn der Rahmenfrist bei einer Regressklage des Wiederverkäufers gegen den Hersteller das Datum des zwischen den betroffenen Parteien abgeschlossenen Kaufvertrags, d.h. das Datum des zwischen dem Wiederverkäufer und dem Hersteller abgeschlossenen Kaufvertrags, zu setzen.

Alle diese Fragen werden, wie gesagt, am kommenden 21. Juli geantwortet werden, wobei zu beachten ist, dass der Cour de cassation nicht verpflichtet ist, den Vorschlägen des Generalanwalts zu folgen.

Sicher ist, dass, sollte der Cour de cassation entscheiden, die Frist für alle gewerblichen Verkäufe auf 20 Jahre ab dem Verkauf festzulegen, würden deutsche Hersteller und Verkäufer ein echtes Interesse daran haben, ihre gesamten Vertragsdokumente (Verträge, Auftragsbestätigungen, Rechnungen, Lieferscheine, AGBs) prüfen zu lassen, um sicherzustellen, dass ihre Schieds- oder Gerichtsstandklauseln, die Zuständigkeit deutscher Gerichte und die Anwendung deutschen Rechts festlegen, und im Falle eines Rechtsstreits mit einem französischen Käufer auch tatsächlich Anwendung finden.

Verfasst von

Francesca Ciappi Associate

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